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Zyklisch leben in einer linearen Welt

 



Impressionen vom Women's Circle am 1. Oktober 2024

Die Welt, in der wir leben, ist nicht gemacht für Menschen mit körperlichen oder kognitiven Beeinträchtigungen, psychischen Erkrankungen, Neurodivergenzen, ohne Schweizer Pass, anderer Hautfarbe oder Herkunft, die nicht dem Geschlechterbinär entsprechen oder nicht heterosexuell sind. Ebensolches trifft auf menstruierende Menschen zu – und auf Frauen ganz grundsätzlich, ob sie nun menstruieren oder nicht. Allzu oft ist unsere schnell getaktete Welt nicht kompatibel mit der zyklischen Natur von Frauen. Zyklisch zu leben, widerspricht den Erwartungen unserer Gesellschaft. Dies kann zu Konflikten führen – sowohl in uns selbst als auch mit unserem Umfeld. Arrangieren wir uns also damit? Oder leisten wir durch einen zyklischen Lebensstil Widerstand?

Nach einer geselligen Teilete hat sich eine Gruppe ganz unterschiedlicher Frauen am Women’s Circle vom 1. Oktober 2024 im forum3 zu dieser Spannung ausgetauscht. Wir haben Raum geschaffen für persönliche Erfahrungen und Geschichten, die gehört und gesehen werden wollten; wir haben praktische Tipps erörtert – und uns darüber ausgetauscht, welchen Platz wir in dieser Welt einnehmen wollen und was es dafür braucht.

Wie an jedem Women’s Circle war eine zentrale Erkenntnis, dass ein achtsamer Umgang mit uns selbst und unseren Bedürfnissen essenziell für unser körperliches, mentales und psychisches Wohlbefinden ist. In einer Gesellschaft, die eine solche Achtsamkeit oft nicht schätzt oder zumindest nicht fördert, ist es umso wichtiger, offen und ehrlich mit unseren Mitmenschen über diese Themen zu sprechen und einander dabei zu unterstützen, uns selbst anzunehmen und das für uns einzufordern, was wir brauchen. Während rund drei Stunden, die wir miteinander verbrachten, haben wir uns darin geübt und einander bestärkt, dass wir es wert sind, unsere Bedürfnisse ernst zu nehmen. Ganz niederschwellig haben wir das Frau-Sein gefeiert, in einer Welt, die immer wieder versucht, uns glauben zu machen, dass wir nicht zu feiern seien. Wir feierten, dass wir nicht für krampfhafte Linearität, sondern für Kreislauf, für Veränderung, für Nuancen stehen und diese auch leben – wenn man uns denn lässt.

Miteinander haben wir einen sicheren Raum füreinander geschaffen. Für einen kurzen Augenblick haben sich unsere Wege gekreuzt, wir sind sie für einen Moment gemeinsam gegangen und durften spüren, dass wir nicht allein sind. Am nächsten Morgen kehrte jede von uns in ihren eigenen Alltag zurück. Ich hoffe, dass wir dabei den Boden unter unseren Füssen etwas standhafter spüren oder ein wenig selbstbewusster sind. Einfach, weil wir uns gegenseitig daran erinnert haben, dass wir Frauen ganz wunderbar sind.

Jil Kiener (Leitung Women's Circle, BA Interreligiöse Studien, MA stud. Zeitgeschichte)


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